Posts mit dem Label Literarisches werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Literarisches werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 6. August 2012

//Arno Schmidt revisited//

Arno Schmidt, Foto von Alice Schmidt © Arno Schmidt Stiftung

Fräulein Krämer: klein und schlangenzierlich. Sie stand an der Kartei, sah listig herüber, und rieb dann gewandt ihr Becken an der Tischkante; lehnte die grüne Strickjacke zurück in die zentralgeheizte Luft, daß die subtilen apfelgroßen Brüste hervortraten, und blickte so versonnen auf ihre dünnen glatten Fingerspargel, die in den Karteikarten schnipsten.
(Aus dem Leben eines Fauns)

Wer Arno Schmidt liest, braucht Zeit. Seine Prosa ist verschwurbelt, unzusammenhängend, voller Onomatopoesien, gelegentlich etwas anstrengend - und somit eine einzige Leselust. Zumindest für Liebhaber der Literatur, die Romane auch mal nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel" lesen und die außergewöhnlichen Worte und Wörter in sich aufsaugen wie Sonnenstrahlen.

Falls sich jemand von euch angesprochen fühlt, ich hätte da etwas für euch: Das Literaturforum im Brecht-Haus Berlin veranstaltet vom 13. bis 17.August eine Arno-Schmidt-Woche, bei der insgesamt fünf Veranstaltungen - Vorträge, Lesungen und Diskussionen - auf dem Programm stehen. 

Es geht unter anderem um die Schwierigkeit von Schmidt, einen Verlag zu finden, der sich derart "unbequemen" Texten annahm, seine eigenwillige Sprache und die großartige Fähigkeit, nonverbale Gesten verbal umzusetzen oder seine Darstellung von Ost- und Westdeutschland. Ich glaube, es wird großartig.

Vom 13. bis 17.August, täglich um 20 Uhr im Palais am Festungsgraben. Der Eintritt kostet 5 Euro, ermäßigt 3 Euro.

Freitag, 2. September 2011

Poète maudit



Freier mensch! das meer ist dir teuer allzeit ·
Es ist dein Spiegel · das meer · du kannst dich beschauen
In seiner wellen unendlichem rollendem grauen ·
In deinem geist ist ein abgrund nicht minder weit.

(Les Fleurs du Mal)

Literaturjunkies und Freunde der Poesie sollten dringend im Prenzlauer Berg vorbeischauen: Dort zeigt die Galerie erstererster anlässlich des 144. Todestages von Charles Baudelaire die kleine und feine Ausstellung "Poète maudit".

Eine handverlesene Auswahl von elf Streetartkünstlern, Illustratoren und Grafikdesignern haben sich anlässlich dieses Datums (es war der 31.August, um genau zu sein) künstlerisch mit dem Werk des großen Dichters auseinandergesetzt, der zu Lebzeiten verfemt und irgendwie etwas nihilistisch veranlagt oder auch einfach nur schlecht gelaunt war. Was ihn nicht daran hinderte, literarisch besonders produktiv zu sein.

Zu sehen gibt es die Werke "an der Schnittstelle von Kunst und Literatur" (die Phrasenkasse klimpert!) noch bis zum 9.September. Und der Eintritt ist frei.

Montag, 9. Mai 2011

Fischvogel


via

Erinnert ihr euch noch an die Sommerferien, so mit 13 oder 14 Jahren? In denen man sich vielleicht schon erwachsen fühlte, es aber noch lange nicht war - und sich bei wilden Fahrradrennen noch die Knie aufgeschürft hat, um dann sprichtwörtlich Rotz und Wasser zu heulen? Diese angestrengte Stille in der Luft, das Surren von Langeweile? So fühlte es sich zumindest an in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Und diese Stimmung durchzieht auch den Roman "Fischvogel" von Beate Rothmaier, den ich fast in einem Tag durchgelesen habe.

Hier befinden wir uns allerdings nicht - wie bei meiner Kindheit - in den frühen 90ern, sondern im Jahr 1974. Mika ist 14 und gelangweilt: Ihre großen Brüder brechen ohne sie zum Zelten auf und ihre Mutter kümmert sich ausschließlich um den an Leukämie erkrankten kleinen Bruder. Der Vater - ein Künstler - ertränkt den Schmerz um den kranken Sohn mittels viel Rotwein im Atelier. Dazwischen Mika.

"Jetzt, in ihrem Baumhaus, am Beginn eines langen Sommers, sah sie die vor ihr liegenden Ferienwochen wie einen Quecksilbersee, eine endlose, unbewegte Fläche, nichts, woran das Auge sich klammern könnte, keinerlei Abwechslung, kein Horizont." Mika sehnt sich nach Abenteuer, weshalb sie sich bei jeder Gelegenheit in ihre Gedankenwelt verliert, als blinder Passagier auf einem Dampfer in der Karibik mitfährt oder die Bekanntschaft mit starken und zwielichtigen Männern macht. Überhaupt, Männer: so langsam erwacht auch die Sexualität, die Hitze macht das jetzt auch nicht besser, und so gehen die Phantasien mit dem jungen Mädchen durch: War da nicht jemand im Gebüsch, der sie beim Baden im See beobachtet hat?

Immer wieder verschwimmen Realität und Phantasie in diesem zauberhaften Roman, über dem dennoch eine unangenehme Schwüle liegt - die ungeklärten Probleme, die nicht kommunizierten Sehnsüchte und Wünsche tropfen hier aus jeder Seite. Und bleiben doch unausgesprochen. Und am Ende des Sommers - was wird aus dem kranken Bruder, der abgehobenen Freundin, den unaufmerksamen Eltern und Mika, an der Schwelle des Erwachsen werdens? - ist dann sowieso nichts mehr, wie es war. Beate Rothmaier hat mit "Fischvogel" einen Roman geschaffen, der einen von der ersten Seite an in die Geschichte hineinsaugt und einen erst wieder freigibt, wenn das letzte Wort gesagt ist - oder auch nicht. Also empfehlenswert.

Sonntag, 9. Januar 2011

Für alle Fragen offen



"Nein." - Nicht selten beantwortet Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki derart wortkarg auf eine mitunter sprachlich ausgeklügelte und vor allem ausführliche Literaturfrage eines Lesers der Rubrik "Fragen Sie Reich-Ranicki" in der FAZ. Warum Ranicki genau diese Frage/Antwort für den Abdruck frei gegeben hat, wird nicht immer klar und wirkt vor allem eines: arrogant. Das hält die Leser jedoch nicht davon ab, Woche für Woche ihre offenbar brennenden Fragen an die bekannte Tageszeitung zu schicken. Eine Auswahl aus den Einsendungen der letzten drei Jahre ist nun im DVA Verlag als kleines Hardcover-Büchlein erschienen.

Unterteilt sind die Texte dabei in fünf Bereiche: Ausgiebig antwortet der Literaturpapst auf Fragen, die ihn ins Schwärmen geraten lassen, Fragen, die ihn wütend machen, Fragen zu Büchern, die sein Leben beeinflusst haben, Fragen, die seinen Widerspruchsgeist wecken und allgemeine Fragen zur Weltliteratur. Welcher Teil ist dabei am Interessantesten? Natürlich: "Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Fragen, die mich in Rage versetzen". Denn hier zieht der sehr eigenwillige Mann, der mir auf der Filmpremiere von "Mein Leben" (siehe Bild) so freundlich in die Kameralinse lächelte, mit großer Lust vom Leder.

So antwortet er auf die Frage, was Bestsellerlisten über die literarische Qualität von Büchern aussagen, mit voller Inbrunst zurück: "Mit literarischer Qualität hat das rein gar nichts zu tun. Nie wieder eine Frage zu Bestsellerlisten, sonst wird dem Briefschreiber das Abonnement entzogen!" Aber natürlich gerät Reich-Ranicki auch gerne ins Schwärmen, dann ziehen sich seine Worte gut und gerne mal über zwei bis drei Seiten. Wir lesen von seiner großen Liebe zu Romeo und Julia und über die beeindruckende Begegnung mit Bertold Brecht sowie seiner Bewunderung für den Russen Vladimir Nabokov und die Faszination von den Gedichten Mascha Kalékos.

Ein charmantes kleines Buch, welches in jede Handtasche passt, garantiert für kurzweilige Unterhaltung sorgt - und den Wunsch entstehen lässt, endlich mal wieder einen guten alten Klassiker zur Hand zu nehmen...

Dienstag, 14. Dezember 2010

lit.COLOGNE 2011



Zugegeben: Als ich vor einigen Tagen das Programm für die lit.COLOGNE 2011 in die (virtuellen) Finger bekam (das erste Jahr ohne meine Anwesenheit auf der Pressekonferenz), war ich doch etwas enttäuscht. Für gewöhnlich konnte man mich am Tag der Veröffentlichung mit leuchtenden Augen und einem glühenden Kugelschreiber über das kleine Heftchen gebeugt sehen, verzweifelt versuchend, mich für drei Veranstaltungen (denn mehr bekommt man auch als Journalist nicht) zu entscheiden.

Woran liegt es dieses Mal, dass ich es gar nicht so übermäßig schlimm finde, nicht mehr vor Ort zu sein? Haben sich die Veranstalter mit dem Jubiläumsprogramm 2010 dermaßen übertroffen, das jedes weitere Festival, welches nicht mit Lenz, Walser und Herta Müller aufwarten kann, notgedrungen etwas lahm wirkt? Hmm.

Aber natürlich - wir wollen nicht allzu gemein sein an dieser Stelle - gibt es auch im kommenden Jahr zumindest ein paar Schmankerl, für die man sich guten Gewissens ein Ticket sichern kann. So beehrt uns zum Beispiel am 17. März Cees Noteboom und liest aus seinem "Schiffstagebuch", während Jürgen Kuttner am 18.März das wahnwitzige Experiment startet, aus dem ungekürzten (und erst kürzlich in dieser Fassung zum ersten Mal publizierten) Manuskript von "On the Road" zu lesen, welches Jack Kerouac auf eine 37 Meter lange Papierrolle gekritzelt hatte.

Ebenfalls am Freitag, 18. März, wäre vielleicht die Hommage an Mark Twain in Anwesenheit von Axel Prahl, Jan Josef Liefers und Paul Ingendaay zu erwähnen. Oder die wahrhaft wunderliche Zusammenkunft von Jürgen Trittin und DJ Hans Nieswandt, die - kann man sich das vorstellen? - im Anschluß an ihr Gespräch auch zusammen auflegen werden!

Und, okay okay, Moritz von Uslar (18.März ), Thomas Glavinic (19.März), Krimiexperte Simon Beckett (19.März) und Peter Wawerzinek (20. März) sind auch nicht uninteressant. Ebenso wie Harry Rowohlt (20.März), Uwe Timm (21.März) Donna Leon (22. März), Bernard Schlink (23.März) und Arno Geiger (24.März).

Na gut! Ich werde wohl doch an diesem Spektakel teilnehmen müssen. Als passionierter Bücherwurm bleibt mir offenbar keine andere Wahl. Das komplette Programm für die 11.lit.COLOGNE findet ihr übrigens unter litcologne.de. Wir sehen uns im März!

Samstag, 11. Dezember 2010

Das See-Vokabularium



"Glimmerschluff" und "Kombüse" - es waren wohl diese zwei so wundervoll klingende Worte, die in der Zusammenfassung des schmalen Buches "Das See-Vokabularium" von Hugo Dittberner meine Aufmerksamkeit erregt haben. Leider ist dieser Bestandteil im Nachhinein das Einzige geblieben, was mich an der Erzählung fasziniert hat.

Dabei klang der Inhalt verhältnismäßig viel versprechend: Ein Mann namens Albert, schon ein bisschen betagter, macht sich eines Tages auf die Suche nach seinem ehemaligen Studienkollegen Rainer, mit dem er damals aus Spaß an der Freude und an Wörtern ein "See-Vokabularium" begonnen hatte. Das ist viele Jahre her und der Kontakt längst versiegt - bis der Bruder des Komilitonen plötzlich vor der Haustür Alberts steht und berichtet, Rainer sei verschollen und für tot erklärt worden. Und er hätte jetzt gerne das Vokabularium ausgehändigt.

Albert gefällt dieser forsche Ton nicht, und überhaupt - warum sollte er die Notizbücher herausrücken? Auch glaubt er nicht, das Rainer wirklich tot ist, schließlich war dieser schon immer ein komischer Kauz mit Hang zur Seltsamkeit gewesen. Zusammen mit seiner Gelegenheits-Affäre Britta zieht er los auf eine kleine Reise durch den Norden Deutschlands um Rainer zu finden, auf der er nicht nur verschiedenen, kuriosen neuen Persönlichkeiten begegnet, sondern auch Menschen von früher und natürlich sich selbst.

Könnte spannend sein. Ist es aber leider nicht. Die verschiedenen Charaktere, und dazu zähle ich auch die Hauptperson Albert, werden ausführlich in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt und bleiben doch mehr als blass. Und überhaupt wird nicht ganz klar, welches Ziel sie verfolgen: Ist Albert tatsächlich auf der Suche nach Rainer?

Oder handelt es sich hier mehr um eine verkappte Midlife-Crisis, die ich vielleicht aufgrund meines Alters noch nicht nachvollziehen kann? Rainer bleibt auch weiterhin verschollen, das See-Vokabularium wird - sehr zu meiner Enttäuschung - inhaltlich nicht mehr erwähnt und so erhält die komplette Erzählung einen faden Beigeschmack der Langeweile. Schade.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Rabenmutterliebe



Wer 50 lange Jahre die Frage mit sich herumträgt, warum ihn die Mutter als Kleinkind in der Wohnung zurückgelassen hat, um in den Westen zu flüchten, der geht daran früher oder später kaputt. Oder schreibt sich das ganze Gefühlswirrwarr von der Seele - im Falle Peter Wawerzineks ist so mit "Rabenliebe" ein über 400 Seiten starker Brocken aus Gefühlen und Gedanken entstanden, welcher dem Leser einiges abverlangt.

Das liegt zum einen an dem nicht gerade leicht verdaulichen Inhalt: Der Autor wird als Kleinkind von der Mutter verlassen, kann halb verhungert und verdurstet noch gerade aus der zugemüllten Wohnung gerettet werden. Es folgen verschiedene Kinderheime, die sich vor allem durch emotionale Kälte und fest geschriebene Rituale auszeichnen und nur wenig Platz für individuelle Kindheitserfahrungen lassen - erst mit vier Jahren beginnt Peter zu sprechen. Nach zwei gescheiterte Adoptionsversuchen gelangt er sprichwörtlich in die Fänge eines vom Sozialismus vollkommen überzeugten Lehrerehepaars. Persönliche Entfaltung ist auch hier - glaubt man den Erinnerungen Wawerzineks - nicht gerne gesehen. Erst mit über 50 Jahren schafft der Autor es, seine Mutter zu besuchen. Die empfängt ihn mit den Worten "Da bist du ja" - Einsicht zeigt sie nicht.

Dass dieses Buch dem Leser noch länger nachhängt, liegt zum anderen aber auch an der überwältigenden Prosa, die der Autor mit der vollsten Kraft seiner Phantasie und seines Wortschatzes hier vor uns ausbreitet. Das ganze Buch ist durchzogen von Sprachspielen, Wortassoziationen, Neologismen, Kinderreimen und Märchenbruchteilen, die den Lesefluss gelegentlich ziemlich erschweren. Die meiste Zeit jedoch fügen sie sich wie Puzzleteile nahtlos in den Gedankenstrom des Autors ein und verdichten den Text zu einem unbeschreiblich überwältigenden - und für Liebhaber der deutschen Sprache sehr angenehmen - Gesamtkunstwerk. Selten habe ich derartig großartige Sätze gelesen!

Mit dieser Meinung bin ich übrigens nicht alleine: In diesem Sommer erhielt der Autor für seinen autobiographischen Roman den Ingeborg-Bachmann-Preis.

Mittwoch, 1. September 2010

the books are alright.


"Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken." (Hermann Hesse)

Bücher wird es immer geben - da bin ich mir ganz ganz sicher. Denn kein E-Book der Welt kann den leicht muffigen und vergilbten Geruch von angeranzten Taschenbüchern (wie sie zuhauf in meinen Regalen stehen) ersetzen, ebenso reagieren diese kleinen Taschencomputer sicherlich etwas kritisch auf Textmarker, Bleistifte und Post-it-Zettel. E-Books lassen keine gestalterische Freiheit.

DAS - oder so ähnlich - dachten sich auch die Macher der Art Book Fair "Unter dem Motto 2010", die vom 3. bis 5. September in der Skalitzer Straße 68 in Berlin-Kreuzberg stattfindet. Über 70 internationale Verleger künstlerischer Heftchen und Bücher kommen hier zusammen, um sich ein wenig im Kreise ihrer Mitstreiter zu tummeln und sich darüber zu verständigen, dass das Medium Buch durchaus Zukunft hat.

Dazu gibt es spannende Vorträge und Diskussionen, Konzerte und sicherlich auch kulinarische Verköstigung. Geöffnet ist Freitag von 15 bis 19 Uhr, Samstag von 12 bis 20 Uhr (und anschließendem Abendprogramm) sowie Sonntag von 12 bis 19 Uhr. Und der Eintritt ist frei.

Montag, 9. August 2010

Mit einem Lächeln.



Ich wette, dass jeder von euch in seiner Kindheit mit diesem Mann in Berührung gekommen ist: Denn es handelt sich um niemand geringeren als Horst Eckert alias Janosch - dem Erfinder von Tiger und Bär, Günther Kastenfrosch und natürlich der fast schon omnipräsenten Tigerente.

Doch sind aus der Feder Janoschs nicht nur liebevolle Kindergeschichte ála "Ich mach dich gesund, kleiner Bär" - meinem absoluten Favoriten - geflossen, sondern durchaus auch nachdenklichere Texte. Einen davon, nämlich "Zurück nach Uskow", präsentiert Jochen Stern (leider nicht Janosch himself!) am 19. und 25. August im Rahmen der Sommergäste im Theater im Bauturm in Köln. In dem kleinen Einakter, der vielleicht eher für Erwachsene denn kleine Nachwuchs-Bücherwürmer geeignet ist, geht es um einen Herrn namens Steiner. Steiner ist alt und seine Zeit läuft so langsam aber sicher ab. Nicht so schlimm, denkt er sich - aber wenn ich es nicht schaffe, dem Tod mit einem Lächeln gegenüber zu treten, war mein ganzes Leben verfehlt. Natürlich ist das nicht so einfach...

Ich finde die Geschichte klingt so charmant, dass es sich sicherlich lohnt, an besagten Daten auf der Aachener Straße vorbeizuschauen. Beginn ist jeweils um 20:30 Uhr und ein Ticket kostet 14,30 Euro.

Sonntag, 21. März 2010

Schweinerei.



Ich bin erstaunt, wieviele Menschen in den letzten beiden Tagen über das Suchwort "Silberschweinpreis" auf meine Seite gelangt sind - und hier lediglich die Ankündigung für diese Veranstaltung, nicht aber einen Nachbericht fanden. Deshalb jetzt eine kleine Zusammenfassung meines Freitagabends, der mit Lesung, Elektroparty und Apfeltasche-auf-dem-Nachhauseweg-im-Morgengrauen von mir das Prädikat "sehr schön" angehängt bekommt.
----------------------------------------------------------
"Ach, ich weiß jetzt gar nicht, was genau ich lesen soll", nuschelt Helene Hegemann und versteckt sich hinter ihrem aschblonden Haarvorhang. Das hättest du dir vielleicht mal früher überlegen sollen, Liebchen, wir sind hier schließlich bei einem Lesewettbewerb für Nachwuchsautoren, denke ich - überrascht es dich da, dass du aus deinem Roman lesen sollst? Letztendlich entscheidet sie sich für eine ziemlich unverfängliche Textstelle aus "Axolotl Roadkill", es kommen nur ein wenig Fäkalien und Kotze darin vor, nicht aber wildes Rumgevögele auf der Disco-Toilette oder schleimige Drogenexzesse. Dafür liest die 18-jährige Dame derart schnell, als hielte ihr jemand insgeheim eine Pistole in den Nacken - das macht keine Spaß.

Richtig über den Roman möchte sie auch nicht diskutieren, "Ich bin doch eigentlich ganz langweilig, ich will nicht immer mit der Hauptfigur gleichgesetzt werden." Der Einwand ist natürlich verständlich, Hegemann weiß aber auch, dass es irgendwie nur menschlich ist, den Autor mit dem Protagonisten gleichzusetzen. Ein bisschen tut sie einem Leid, die kleine Dame, die wie so viele dem modischen Irrglauben verfallen ist, Leggins zu Pullover (also ohne Hose) wären ernsthaft tragbar. Sie ist unsicher und versteckt dies hinter kryptischen Sätzen wie "das Skript meines Lebens" etc., also völlig normales präpubertäres Tagebuchgeschwafel. Naja. Letztendlich macht sie nur den dritten Platz, da hilft es auch nicht, dass ihre Mitgereisten Freunde ihr in einer Hommage den ganz besonderen "Helene-Stil" attestieren - was sowieso sehr ironisch klingt angesichts der ganzen Plagiatsvorwürfe und den Feuilletondebatten und und und...

Die beiden anderen Preis-Anwärter gestalten sich da schon eindeutig angenehmer. Leif Randt, der immernoch so verschlossen-schüchtern zu sein scheint, wie ich ihn in Erinnerung habe, liest lebhaft kreuz und quer in seinem "Leuchtspielhaus" herum, vielleicht etwas zu verwirrend für Nicht-Kenner des Buches. Man merkt ihm an, dass es ihm in vieler Hinsicht nur um die Sprache geht, das Entwickeln fremder Lebenswelten, die eigentlich gar nicht fremd sind. Er ist verträumt und das Interpretieren liegt ihm nicht: "Hmm, ich hab keine Ahnung", antwortet er häufig auf die nachbohrenden Fragen des Moderators.

Publikumsliebling(in) und auch Gewinnerin des Abends wurdn dann aber Ulrike Almut Sandig, eine junge Dame, die ich bis dato noch nicht kannte, die mich mit ihrer wundervoll lebendigen Art, ihre Kurzgeschichten vorzutragen, jedoch sofort verzauberte - ihr erstes Prosa-Werk "Flamingos" (vorher schrieb sie nur Gedichte) steht nun ganz oben auf meiner "Muss-ich-haben"-Bücherliste. So weit ich das beurteilen kann schreibt Sandig märchenhafte und ruhige Geschichten, sie spielt mit den Themen Erinnerung und mag es, wenn ihre Erzählungen "ins Unwahrscheinliche kippen." Sie hatte das große silberne Schwein, dotiert mit 1.111 Euro, auf jeden Fall verdient.

Donnerstag, 18. März 2010

Ich schreibe, also spiele ich.



Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn - Abstufungen dazwischen scheint es in Bezug auf die Person Benjamin von Stuckrad-Barre anscheinend nicht zu geben. Ich gehöre - und das nunmehr seit zehn Jahren - absolut bedingungslos der ersten, offenbar kleineren Fraktion an. Nun gut. Nicht dass ich sofort in den Buchhandel renne, sobald ein neuer Textband von ihm erscheint. Dafür hege ich meine vorhandenen Bände wie einen kleinen Schatz, würden sie verloren gehen, wären zahlreiche Unterstreichungen und Randnotizen unweigerlich dahin. Der Herr lächelte deshalb auch ein bisschen, als ich ihm nach seiner Lesung auf der lit.COLOGNE am Donnerstagabend nicht ein Exemplar seines neuesten Buches ("Auch Deutsche unter den Opfern"), sondern eine halb zerfledderte Ausgabe von "Remix 2: Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft" vor die Nase hielt. "Auch ein gutes Buch", steht süffisant nun über seiner Edding-Unterschrift.

Stuckrad-Barre inszeniert sich, dass hat er schon immer getan. Ein Fehler wäre es allerdings, ihm dies als unangebrachte Arroganz zu Lasten zu legen: Welcher Autor inszeniert sich denn nicht? Ein gelegentlich großkotziger Rundumschlag der deutschen Gesellschaft schadet nicht, vieles davon findet sich sicherlich auch in den Gedanken von dir und mir wieder - nur veröffentlichen wir es eher selten bis gar nicht. Auch an diesem Abend (schon jetzt ein gefeierter Anwärter auf den lustigsten Abend des Jahres 2010) schlüpfte Stuckrad-Barre in seine gewöhnliche Rolle, kam mit Hemd, Weste und Krawatte auf die Bühne, paffte eine Zigarette nach der anderen. Zur Seite stand bzw. saß ihm dabei Christian Ulmen, der im Gegensatz zum schnieken Barre (Haare: exakt auf 3mm) etwas zerzaust und bärtig aussah, aber dafür doppelt so charmant agierte. Gemeinsam lasen sie aus Barres neuen Texten, erzählten Anekdoten, die eigentlich nur mit Situationskomik funktionieren und machten sich lustig über den Literaturbetrieb.

Nur ungern musste ich feststellen, dass anderthalb Stunden wundervolle Lesung wie im Flug vorbei gingen und das Schiff - ja, die Lesung fand auf einem Schiff statt - wieder in der Kölner Altstadt anlegte. Und sehe mich bestärkt darin, auch in Zukunft mit vollem Ernst hinter meiner Ansicht zu stehen: Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein großartiger Journalist und Autor. Punkt.

Samstag, 13. März 2010

Die Unschuld des Tagebuchs.



Nachdem ich am Donnerstag Abend mit der Lesung/Diskussion mit Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und dem chinesischen, regimekritischen Künstler Ai Weiwei bereits den eindeutigen Höhepunkt der lit.COLOGNE erleben durfte (wieso steht der eigentlich am Anfang?), ging es gestern Abend aufregend weiter.

Man hatte Martin Walser eingeladen, den großen deutschen Romancier, der vor allem durch seine seit Jahren andauernde Hass-Liebe zu "MRR", also Herrn Reich-Ranicki, für Furore sorgte. Walser scheint ein sehr produktiver Mensch zu sein: Er hat zwar keine festen Schreibzeiten - "Ich bin doch nicht Thomas Mann! Ich muss auf Situationen reagieren!" - jedoch sein aktuelles Tagebüchlein immer dabei. Dort hält er alles fest, was ihm in den Sinn kommt, Aphorismen, Gesprächsausschnitte, Gedanken, also Satzfetzen, die in "kein anderes Genre als das Tagebuch passen würden", betonte er.

Die Tagebücher aus den Jahren 1974-1978 wurden jetzt veröffentlich, wobei der Autor penibel darauf geachtet hat, dass nichts geändert oder korrigiert wird: "In einem Tagebuch darf nachträglich nichts geändert werden, höchstens gekürzt. Das ist die Unschuld des Tagebuchs." Viele Sätze hängen deshalb etwas zusammenhangslos in der Luft herum, aber, "So war das damals eben, so habe ich mich gefühlt." Selbstverständlich wird in diesen Heften auch die barsche Kritik über "Jenseits der Liebe" erwähnt, in der MRR Herrn Walser jegliche Fähigkeit zur literarische Produktion absprach; Um nicht zu platzen oder den Kritiker auf der Stelle "wild zu ohrfeigen" kotzte er sich in einem längeren Eintrag ordentlich aus. Man kennt das ja: Therapeutisches Schreiben.

Es war ein wundervoller Abend der Lust darauf gemacht hat, mal wieder so richtig ausführlich Tagebuch zu schreiben (ich tue das schon seit bestimmt 16 Jahren) - aber veröffentlichen werde ich sie nicht...

Freitag, 12. März 2010

Für Bücherwürmer.



Will sich jemand von euch heute vielleicht den absoluten Literatur-Overkill geben? Dann auf zum WDR Literaturmarathon, der im Rahmen der 10. lit.COLOGNE im WDR-Funkhaus am Wallraffplatz stattfindet: Von Freitagabend, 22 Uhr bis Samstagabend, 22 Uhr, wird hier nonstop gelesen (gelegentlich gibt es auch etwas Musik). Selbstverständlich liest nicht nur eine Person, das wäre keinen Stimmbändern zumutbar - unter anderem kommen Hella von Sinnen, Frank Goosen und Dirk Bach ans Mikrofon. Der Eintritt ist frei und Kaffee gibt es auch gratis - also schnell Schlafsack und Kissen eingepackt und auf geht es!

PS: Als Bibliophilin par excellence hat es mir übrigens fast schon körperliche Schmerzen bereitet, diesen, äh, Buchladen im indischen Jaisalmer zu fotografieren. Aber der Anblick war dann doch zu kurios.

Donnerstag, 11. März 2010



"Wenn man Musik hören will und durch jeden Ton nur an sich erinnert wird und dann überhaupt nicht mehr zuhören kann, und man merkt das und lenkt sich wieder zurück zur Musik und wird sofort wieder auf sich aufmerksam, denkt nur an sich, hört wieder nicht zu. Das Leben kann so dringlich werden, dass man keine Musik mehr hören kann."
(Martin Walser)

You name it! Martin Walser liest am Freitag, 12. März um 19:30 Uhr im Rahmen der lit.COLOGNE im Schauspielhaus. Es gibt bestimmt noch Karten an der Abendkasse!

Mittwoch, 10. März 2010

Enjoy your best age ever.



Pastellfarbene Blousons. Rollerskates. Neonfarbene Haare. Tennis. Glitzer. Auf jeder der rund 230 Seiten von Leif Randts' Debüt-Roman Leuchtspielhaus habe ich gemerkt: Wir sind im gleichen Jahr geboren, haben den gleichen kulturellen Hintergrund und die gleichen Kindheitserinnerungen an die späten 80er und frühen 90er Jahre. Und wir haben zusammen gearbeitet, in Berlin vor fünf Jahren, frisch zugezogen aus der "Kleinstadt" (bei mir Köln, bei ihm Frankfurt) und aufmerksam die kuriose "Subkultur" in Berlin-Mitte beobachtet, die eigentlich gar keine mehr ist.

Um eine Alternative zum plattgetretenen Mainstream dreht sich auch seine Story. Der etwas introvertierte Protagonist/Erzähler Eric hat mit Freundin Helen einen außergewöhnlichen Friseursalon in London eröffnet: Wer hier einen der neonfarbenen, schräg rasierten Schnitte sein Eigen nennen möchte, muss Member sein und monatlich einen nicht unerheblichen Mitgliedsbeitrag blechen. Der Wunsch, sich von der breiten Masse abzuheben, driftet hier lustigerweise ins Gegenteil ab: Mit ihren oben erwähnten, pastellfarbenen Seidenblousons, den glitzernden Tennis-Socken, den Neonfarben und den knalligen Cocktails zitieren die Damen und Herren im Prinzip nur die - im Rückblick leicht gruselig wirkenden - Modeerscheinungen der auslaufenden 80er und werden letztendlich ausgerechnet zu dem, was sie zu sein vermeiden wollen: Durchschnitt.

Das Leif die ganze Szenerie mit einer ordentlichen Packung Ironie durchsetzt hat, wird schnell klar: Wer fühlt sich nicht an die Röhrenhosen-, Kastenbrillen-, Schalkragen- und Stofftütenträger aus Berlin-Mitte (oder, ja, Köln-Ehrenfeld) erinnert, die in ihrer himmelschreienden Individualität überhaupt nicht bemerken, dass sie aussehen wie alle anderen? Einen Lösungsvorschlag muss er an dieser Stelle gar nicht präsentieren - denn fordert nicht jede Generation ihre eigene Subkultur ein? Und kippen diese Subkulturen nicht ebenso nach gewisser Zeit jedesmal in die Mainstream-Suppe hinein?

Fazit: Ein schönes Buch, ein ironisches Buch, ein sprachlich überzeugendes Buch!

Montag, 1. März 2010

Silberschwein olé.



Wie kommen die Damen und Herren bei der lit.COLOGNE eigentlich auf den Titel "Silberschweinpreis"? (Update: Weil im Anschluss die bekannte "Silberschweinparty" stattfindet!) Naja, eigentlich ist das ja ziemlich egal - wichtig ist lediglich, was sich dahinter verbirgt. Das kann sich nämlich eindeutig sehen lassen: Drei ambitionierte Nachwuchsautoren kommen am Freitag, 19. März um ab 20:30 Uhr im Kölner Stadtgarten zusammen, um aus ihren literarischen Debuts vorzulesen. Und wer sind die drei?

Da hätten wir zum einen Helene Hegemann - jede Erklärung zu ihrer Person ist an dieser Stelle überflüssig. Wer von euch in den letzten drei oder vier Wochen auch nur ein einziges Feuilleton aufgeschlagen hat, wird dieser kleinen Berliner Göre und ihrem semi-skandalösen Roman "Axolotl Roadkill" samt angehängtem Plagiatsvorwurf und Alpha-Tierchen-Streit in den Literaturbeilagen begegnet sein.

Als zweites wäre da Leif Randt, mit dem ich vor fünf Jahren am Wannsee in Berlin ein gemeinsames Praktikum absolvierte und der mir als ruhiger, verträumter Hahn im Korb in unserer lustigen, Cocktail-süchtigen Mädchenrunde in Erinnerung geblieben ist. Sein Debutroman "Leuchtspielhaus" steht ganz oben auf meiner "Das muss ich dringend noch lesen"-Liste.

Dritte im Bunde ist Ulrike Almut Sandig, die nach einem abgebrochenen Journalistik-Studium am liebsten Gedichte schreibt und damit offenbar sehr gut ankommt: In ihrem Lebenslauf kann sie bereits den "Leonce-und-Lena-Preis" verzeichnen, sowie zahlreiche Stipendien. Im Rahmen der lit.COLOGNE liest sie aus ihrem Buch namens "Flamingos".

Ich bin gespannt, wer nach diesem Abend den "Silberschweinpreis" davon trägt - ich gönne es allen. Kommt doch einfach auch vorbei: An der Abendkasse gibt es noch Tickets für 15 Euro, für drei Lesungen eine lohnenswerte Investition. Und: Im Anschluss findet eine schnieke Party statt, auf der man vielleicht sogar mit den Autoren anstoßen kann.

Sonntag, 21. Februar 2010

"Manchmal kann die Wahrheit nur erfunden werden."


Foto: Ingrid von Kruse

Ich habe es schon mehrmals hier erwähnt: Ich bin ein großer Fan von Siegfried Lenz. Vor rund zwei Jahren fand ich eine relativ zerfledderte Ausgabe seines wohl bekanntesten Werkes, Deutschstunde, in der Buchbox in Bonn - und war sofort verliebt. Nun habe ich die Ehre seinen neuesten Streich Landesbühne zu rezensieren; da Herr Lenz im März zur lit.COLOGNE kommen wird, hat es somit Bedeutung für Köln (wir sind schließlich ein Stadtportal, kein Literaturportal) - und der Verlag hat großzügig ein Leseexemplar herausgerückt.

Das kleine, nur 119 Seiten starke Büchlein kann man getrost der Sparte "Novelle" zuordnen, da es, um mal die Literaturwissenschaftlerin raushängen zu lassen, eine "unerhörte sich ereignete Begebenheit" beschreibt. Wir befinden uns mitten im Trubel eines Gefängnisses in Isenbüttel, einem eher locker-flockigem "festen Haus" mit allerlei urigen Bewohnern. Geschildert wird die Geschichte aus der Sicht des Literaturprofessors Clemens, der einige seiner Studentinnen mit Auszeichnung durchs Examen gebracht hatte - weil sie zuvor bei ihm genächtigt hatten. Dieser Clemens wird nun, eher unfreiwillig, in die Pläne seines Zimmernachbarn Hannes - einem grobschlächtigen, aber irgendwie sympathischen Mann - einbezogen: Wenn die Landesbühne für eine Aufführung im Gefängnis vorbeikommt, will man den Theaterbus kapern und abhauen. Was auch gelingt.

Die folgenden Seiten sind dann - nimmt man es genau - ziemlich hahnebüchen: Die Herren entwischen also und fahren ins benachbarte Dörfchen Grünau, wo sie mitten ins alljährliche Nelkenfest platzen und sofort begeistert aufgenommen werden, ja über die Wochen das ganze beschauliche Landleben umkrempeln. Kurz wollte ich während der Lektüre den Finger heben und sagen: "Ääh, ja." Wenn da nicht der Satz auf der Rückseite des Buches wäre: "Manchmal kann die Wahrheit nur erfunden werden." Denn vielleicht ist es gar nicht so abwegig, dass die entflohenen Sträflinge über Wochen nicht entdeckt werden, weil sie sich eben nicht verstecken, sondern den Schutz in der Öffentlichkeit suchen? Dass die "Rückreise" in das "feste Haus" dann gewaltlos und friedlich verläuft, überrascht nicht. Denn für die Insassen war es letztendlich nur ein "so tun als ob", ein Theaterspiel.

Ein schönes Buch, ein gewohnt klar und schnörkelos geschriebenes Geschichtchen, welches mir das Wochenende versüßte. Bei der Lesung mit Herrn Lenz im März werde ich allerdings dennoch meine vergilbte Ausgabe der Deutschstunde signieren lassen...

Sonntag, 24. Januar 2010

Ah! woe is me.



"I almost wish we were butterflies and liv'd but three summer days - three such days with you I could fill with more delight than fifty common years could ever contain." (John Keats)

Seit Tagen versuche ich nun, die Ideen und Ziele der Englischen Romantik (ca. 1790 bis 1825) zu verinnerlichen, die Gedichte der einzelnen Vertreter analytisch zu zerlegen - vergebens. Irgendwie blieb mir die Welt dieser Herren bisher verschlossen. Gibt es deshalb eine bessere Ausrede, sich an diesem verschneiten Sonntag ins Arthouse-Kino des Vertrauens zu begeben und sich den Film "Bright Star" über das kurze Leben des John Keats anzuschauen?

Ja, es ist ein Kostümfilm, gedreht von der BBC, und ja, er ist stellenweise etwas kitschig. Aber er vermittelt ein ausführliches Bild über den englischen Dichter, seinem Wunsch, seine Gedanken und Beobachtungen in Worte zu fassen und trotzdem daran festzuhalten, wenn ihn die Kritiker förmlich in der Luft zerreißen und eigentlich auch nicht klar ist, wer den nächsten Kaffee bezahlt. Denn im 19. Jahrhundert von Literatur leben zu wollen, war ungefähr so leicht, als wolle man sich nur noch von Luft und Liebe ernähren. Wenn man sich dann auch noch unsterblich in eine Frau namens Fanny Browne verliebt, ihr aber - da mittellos und eh schon in den roten Zahlen - keine Zukunft bieten kann UND zu allem Übel mit 25 auch noch an der Schwindsucht erkrankt - dann haben wir das kurze und tragische Leben des John Keats.

Waren mir die Gedichte zuvor leblos erschienen, so konnte ich sie plötzlich mitsprechen, durch die nun mir bekannten Hintergründe um die unglückliche Liebe kann ich sie nun auch erklären. Aber ob man das tun sollte? "Poesie ist wie ein See. Wenn du in einen See gehst, beginnst du auch nicht damit, ihn zu analysieren, du genießt ihn und lässt ihn auf dich wirken." Gut, dieses Zitat aus dem Film führt mein gesamtes Studium leider ad absurdum, denn meine Aufgabe ist es nunmal, Literatur zu interpretieren.

Ob es wohl gut ankäme, wenn ich meinem Professor einfach entgegnete: "Diese Gedichte sollte man nicht interpretieren, man muss sie fühlen, in ihnen aufgehen, sie leben."? Könnte vielleicht meine Note gefährden.

PS: Liebe Filmindustrie: könntet ihr bis Mittwoch vielleicht auch noch schnell Filme über Wordsworth, Byron und Shelley drehen? Danke!

Sonntag, 10. Januar 2010



"Der moderne Mensch hat die innere Festigkeit verloren. Durcheinander fließen die Gedanken, sie huschen vorüber und scheinen um Entschuldigung zu bitten und keiner bleibt. Es ist das Lied morscher Seelen, welche die Gegenwart martert, die Zukunft erschreckt, die Vergangenheit anekelt."

(Rainer Maria Rilke)

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Zitat des Tages.


DerekNeuland

"Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewußtsein gekommen ist, wieviel Gesichter es gibt. Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil beweisen?

Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den anderen? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht.
Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, siehätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum."

(Aus: Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge)