Mittwoch, 26. Oktober 2011

Das Buch der Kinder


William Morris, Strawberry Thief furnishing Textile, 1883 (Ausschnitt)

Über zehn Jahre ist es her, dass ich den Roman "Besessen" von A.S. Byatt in die Hand genommen und stundenlang darin gelesen habe. Enttäuscht war ich hingegen von den anderen Romanen der britischen Autorin, keines schaffte es, mich derart in die Geschichte hineinzusaugen wie das Geschehen um den kauzigen Literaturprofessor. Bis "Das Buch der Kinder" in meinem Briefkasten landete.

Knappe 900 Seiten umfasst dieser Schmöker, welcher unschöne Stellen hinterlässt, wenn man mit ihm auf dem Gesicht einschläft (das habe ich bereits ausprobiert). Nicht alle Seiten davon sind interessant, auf ein paar Nebenhandlungen und ausschweifende Abschweifungen zur Zeitgeschichte hätte die Autorin getrost verzichten können. Alles in allem handelt es sich hier jedoch um ein Familienepos, an dessen Ende ich - Literaturliebhabern nicht unbekannten - Abschiedsschmerz fühlte.

Worum geht es? "Das Buch der Kinder" umfasst die Jahre 1895 bis 1919 und das Leben verschiedener Familien im Süden Englands. Da wären die Wellwoods, die mit einer Kinderschar in einem kuschligen Landhaus namens Todefright wohnen und alljährlich die Sommersonnenwende mit einem Fest voller heidnischer Bräuche feiern. Während der Vater als Journalist mit politisch angehauchten Texten eher wenig Geld einbringt, hat sich die Mutter - Olive - mit ihren märchenhaften Geschichten bereits einen Namen gemacht.

Oder die Londoner Wellwoods, etwas spießig und verstockt, so dass der Sohn Charles sich aus Rebellion den Anarchisten anschließt. Oder Prosper Cain, Leiter des Vorgängers des Victoria & Albert Museums und begeistert vom arts & Craft Movement. Und dann hätten wir noch die fast schon phlegmatisch wirkende Gruppe der Familie Fludd: Ein manisch-depressiver und genialisch verstörter Töpfer mit Frau und zwei Töchtern, die sich vorwiegend in bestickten und unförmigen Wollgewändern kleiden.

Es dauert ein bisschen, bis man den Überblick über alle Beteiligten bekommen hat - und es ist nicht immer leicht, dabei auch noch das Zeitgeschehen im Auge zu behalten. Die Wandervögel, Vegetarismus, das Arts & Crafts Movement, Anarchismus, der Kampf der Sufragetten für das Frauenwahlrecht, die Schwabinger Bohème - und am Ende der erste Weltkrieg, der die "Kinder", die zu diesem Zeitpunkt streng genommen gar keine mehr sind, auf den Boden der Tatsachen holt. Dennoch ist es eine große Freude, Seite für Seite des Romans umzublättern - denn jede davon hält gewisse Überraschungen bereit.

A.S. Byatt: Das Buch der Kinder. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011. 896 Seiten, gebunden, 26 Euro.

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