Montag, 12. Juli 2010

Märchenwald


Cambridge, England von ray fielding

Wer von euch schon einmal in Oxford oder Cambridge war, hatte vielleicht ein ähnliches Gefühl: Die Städte werden dominiert von den efeuberankten Mauern der Universität und aus allen Ritzen und Löchern der altehrwürdigen Gebäude scheint das geballte Wissen der Studenten herauszuquellen wie zähflüssiger Honig. In meinem Kopf tauchen dann spontan Sätze ála Ich hätte jetzt Lust, ein bisschen Chaucer im Original zu lesen in meinem Kopf auf, die ich aus persönlichen Gründen - Mittelenglisch, urgs! - meist schnell wieder verwerfe.

Die Städte besitzen eindeutig einen Hauch Märchenhaftigkeit: Hinter den Mauern vermutet man Dornröschen, in den Türmchen und Zinnen mindestens ein Rapunzel. Deshalb ist die Kulisse, die Angelika Meier in ihrem Debütroman England heraufbeschwört, eigentlich gar nicht so weit hergeholt. Dennoch ist sie unglaublich verwirrend.

Denn was sucht Valentine, diese ebenso geheimnisvolle wie seltsame junge deutsche Dame da eigentlich in Cambridge? Vordergründig wurde sie als Fellow an das College gerufen, weil sie in jahrelanger mühsamer Arbeit die Schriften des unbekannten spanischen Philosophen Manzanilla entdeckt und übersetzt hat. Diese schleppt sie seitdem in einem Samsonite-Koffer mit sich herum und nimmt ihn - zum Schutz, versteht sich - gelegentlich auch mit unter die Bettdecke. Denn es ist wichtig, vor den Kollegen auf der Hut zu sein, die ihrer Entdeckung auflauern wie geifernde Hunde und noch nichtmal davor zurückschrecken, die junge Dame zu narkotisieren um an ihr Ziel zu gelangen. Eigentlich sollte Valentine also vorsichtig sein, wenn sie sich mit dem Bohèmien Orville auf eine mehr oder weniger leidenschaftliche Affäre einlässt. Wenn ihr das Ganze über den Kopf wächst, legt sie sich einfach schlafen - gerne auch mal für drei Monate, das macht man im Winter in Cambridge nämlich so, laut Erzählerin.

Klingt kurios? Sag ich doch! Über mehr als 300 Seiten rutscht der Leser durch eine groteske, mich nicht im Geringsten an meine eigene Alma Mater (obwohl sie märchenhaft aussieht) erinnernde Welt, in der Brunnen seufzen, Wände sich verschieben, der Geist des Philosophen Ludwig Wittgenstein zu allem und jedem seinen Senf dazu gibt und sogar das Efeu an den Universitätsmauern lauschende Öhrchen besitzt. Das ist nicht immer unanstrengend zu lesen, aber auch nicht immer unlustig: "Ich möchte lieber nicht alleine schlafen. Könnte ich btte zu dir kommen und mich auf dich legen?"

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