Montag, 4. Februar 2013

//In einer Person//

Ausschnitt aus dem Buchcover von John Irving In einer Person, Umschlagillustration von Edward Gorey

Wer ein Buch von John Irving zur Hand nimmt, begegnet früher oder später einem oder mehreren Elementen bzw. Themen: Ringern und Footballspielern, inzestuösen Verhältnissen, Literaturprofessoren, verschiedenen Staaten in Neuengland, Prostituierten, Wien und seinen Kaffeehäusern - und Tanzbären. 

Gehässige Menschen führen aus diesem Grund eine Strichliste, wenn sie einen Roman des 1942 geborenen Autors lesen - andere Menschen lassen sich hingegen einfach hineinziehen in die atmosphärisch sehr dichte Erzählumgebung Irvings. Ja, auch der neue Roman In einer Person hat so seine Längen, die man gerne überblättern würde, wenn der Erzähler sich mal wieder an nutzlosen Nebenhandlungen und allzu detaillierten Details entlang hangelt. 

Doch was zählt, sind in erster Linie die Charaktere, die den Roman tragen und ihm Leben einhauchen: allen voran wäre da William Abbott, von den meisten "Billy" genannt, dessen Lebensgeschichte rückblickend durch seine Augen erzählt wird. Im Mittelpunkt steht dabei seine Kindheit und Jugend in einem kleinen Städtchen in Vermont, wo er in einer schrulligen Familie mit starken Frauen, aber ohne Vater aufwächst. Dass sein Großvater die Idealbesetzung für allerlei weibliche Rollen in Shakespeare-Stücken ist, irritiert nur kurz, denn schnell stellt sich heraus: Billy fühlt sich von Mädchen angezogen. Und von Jungen. Am meisten allerdings von seiner hünenhaften Bibliothekarin Miss Frost, über die in der Stadt meist hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird. 

Mit Billy reisen wir von der engstirnigen Zeit der 50er und 60er Jahre durch die Zeit der sexuellen Revolution über die Schwulenbewegung und Aidsepidemie der 80er bis hin in die Gegenwart, in der man nun "transgender" statt "transsexuell" sagt und ein Outing als Homo- oder Bisexueller zumindest etwas leichter geworden ist. Dass Irving auch in seinem neuesten Streich alle Register zieht und seine Hauptfigur so fein verästelt charakterisiert, dass wir scheinbar mit ihm fühlen und denken, war vorhersehbar und ist dennoch immer wieder angenehm. Wer sich nicht vor den 700 Seiten und gelegentlichen - aber stets kurzen - Durststrecken fürchtet, liegt hier genau richtig! 

John Irving, In einer Person, erschienen im Diogenes Verlag, Hardcover, 736 Seiten, 24.90 Euro.

1 Kommentar:

Christoph W. hat gesagt…

Bin letzte Woche mit dem Buch fertig geworden - endlich wieder ein großer Irving-Roman nach zuletzt ein paar schwächeren Werken.