Donnerstag, 11. August 2011

Vorn



Die meisten Redaktionen sind nicht glamourös. Meist geht es hektisch und turbulent zu, es zählen Zeichen, Bildgröße und Deadline mehr als alles andere. Und doch übt der Beruf des Journalisten auf viele eine unglaubliche Anziehungskraft aus - auf mich sowieso - so auch auf Tobias Lehnert. Tobias ist die Hauptfigur im Roman "Vorn" von Andreas Bernard, welcher vor kurzem zur Lektüre auf meinem Nachttisch landete (ich meine den Roman).



Mitte der 90er Jahre, als fluoreszierende Kleidung zum Nachtleben dazu gehörte, man sich zwingend zwischen Oasis und Blur entscheiden musste (beides hören ging nicht, sorry) und das Leben noch angenehm unberührt von Mobiltelefonen und Internet war - Mitte der 90er Jahre also ergattert sich Tobias zufällig einen Job beim absolut angesagten Magazin "Vorn". Dies liegt eimmal pro Woche einer großen Tageszeitung aus Süddeutschland bei. Wir reden hier also vom "Jetzt"-Magazin aus der Süddeutschen Zeitung, das ist nicht schwer zu erkennen und auch gar nicht großartig verschleiert.

Wer dort arbeitete, so beschreibt es Bernard ausführlich, war dabei, mittendrin und am Puls der Zeit. Denn - und ja, das ist definitiv ein Vorteil von Redaktionen - die neuesten CDs und Bücher hatte man ja meist schon lange vor dem Erscheinungsdatum auf dem Schreibtisch liegen. Dass er mit dem Eintauchen in den Vorn-Kosmos langsam aber sicher den Bezug zum wirklichen, normalen Leben verliert, merkt Tobias allerdings erst dann, als es schon längst zu spät ist.

Seine ruhige, alternativ angehauchte Freundin passt nämlich so gar nicht in das Konzept der Vorn-Gesellschaft, die New Balance Schuhe (erinnert ihr euch?) zu Helmut Lang Anzügen trägt und ihren eigenen Jargon spricht. Sogar der gleiche Typ Mädchen muss es sein, lange Haare und bauchfreie Tops (ein dunkles Kapitel der 90er, wie ich finde) und irgendein zarter Name, am liebsten Julia oder Sophie. Emily, seit sieben Jahren an der Seite von Tobias, hat irgendwann die Schnauze voll, verständlicherweise. Und dann stellt auch Tobias Leben und Arbeit in Frage.

Achje, es hätte so ein schöner coming-of-age Roman über die erste große Liebe und den ersten tagesfüllenden Job werden können. Bernard hätte die Figuren, die ja durchaus Charme besitzen, so wundervoll charakteristisch ausarbeiten können. Können. Denn leider wirken die Sätze des Journalisten, der bereits soviele durchaus schön geschriebene Artikel veröffentlicht hat, unglaublich hölzern und steif. Fast jede einzelne Minute im Leben des Tobias Lehnert wird wiedergegeben, was die Seiten des Romans bedauerlicherweise mit viel zu vielen Belanglosigkeiten füllt. Dafür ist die Geschichte einfach zu normal, jeder von uns hat diese Dinge bereits durchgemacht, da bin ich mir sicher. Schade.

5 Kommentare:

FF hat gesagt…

hätte, können. da stimme ich dir zu! ich bin mit den selben freudigen erwartungen an den roman gegangen und musste mich teilweise durchringen, die langgezogenen passagen, in denen erstens viel zu viele belanglosigkeiten und zweitens diese auch noch viel zu oft wiederholt wiedergegeben werden...man weiß an vielen stellen schon, was als nächstes kommen wird.

Fräulein Julia hat gesagt…

Ja genau! Und ich war so enttäuscht: So jemand arbeitet als erfolgreicher Journalist? Mit DER Schreibe??

Sarah-Lena Gombert hat gesagt…

Journalisten sind nicht immer gute Autoren. Und auch erfolgreiche Journalisten haben nicht immer eine gute Schreibe... ;-)

Fräulein Julia hat gesagt…

Richtig. Nur wurde er in den Feuilletons teilweise so gerühmt? Bzw. heißt es immer wieder, er hätte ja SO TOLLE Artikel fürs "jetzt" geschrieben - und dann sowas?

Michael Petrikowski hat gesagt…

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