Donnerstag, 22. April 2010

"Hat er schon seine Erbsen gegessen?"


Klaus Kinski als "Woyzeck"

"Schon wieder Woyzeck?! Hast du das nicht schon tausendmal gesehen?" - Ja, das war in der Tat schon die mittlerweile fünfte Inszenierung des fragmentarischen Dramas von Georg Büchner, die ich am Mittwochabend im Theater Tiefrot gesehen habe. Mein Umfeld hält mich für verrückt, viele können mit dem Text überhaupt nichts anfangen. Als bekennende - und studierte - Literaturfanatikerin versuche ich aber gar nicht zu vertuschen, dass mir dieser Text über den wirren, manischen, verrückten Woyzeck schlichtweg einer der liebsten ist. Sowohl gedruckt als auch im Theater.

Gestern deshalb ein weiterer Versuch, nachdem mich die letzte Aufführung im Rahmen des Theaterfestivals Impulse im November eher etwas fraglos zurückgelassen hatte. Und das Ergebnis: erste Sahne! Das Theater (welches übrigens nicht tiefrot, sondern schwarz gehalten ist) ist klein, sogar sehr klein und auch etwas stickig. Als Zuschauer sitzt man (das gibt es in der freien Szene ja sehr häufig) mit Klappstühlen auf einem Podest, in der Kuhle in der Mitte steht ein grober Holztisch mit Bänken, der als Bühne dient. Ein gutes Zeichen für eine detailgetreue Aufführung!

Und so ist es dann auch: Die Schauspieler stecken in einigermaßen historischen Kostümen und halten sich eins zu eins an die literarische Vorlage, auch die Reihenfolge der Szenen (über die in Literaturwissenschaftlichen Kreisen stets gestritten wird) deckt sich größtenteils mit der Version, die in meinem Regal steht. Vieles kann ich schon längst mitsprechen, bei Sätzen wie "Hat er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck?" geht mir das Herz auf. (Jaa, ihr dürft mich für verrückt halten)

Volker Lippmann ist die beste Besetzung des Woyzeck, die ich mir vorstellen kann (abgesehen von Klaus Kinski versteht sich), auch wenn er mit den ergrauten Schläfen eigentlich schon zu alt für die Rolle ist. Er tobt und stampft über die improvisierte Bühne, vergeht in seinem Wahn und seinen Halluzinationen, die ja vor allem von seiner krassen Mangelernährung stammen - der Arzt, dem er sich gegen Geld für medizinische Experimente verdingt hat, zwingt ihn, sich wochenlang ausschließlich von Erbsen zu ernähren. Und dann schläft seine Freundin Marie auch noch mit dem Tambourmajor, der geballten Potenz in Soldaten-Uniform - Da darf man schonmal ausflippen. Ein wirklich grandioser Abend und mit nur 90 Minuten Spielzeit auch sehr gut verdaulich!

Weitere Aufführungen am 23., 24., 28., 29. und 30. April (sowie an zahlreichen Daten im Mai und Juni). Beginn ist jeweils um 20:30 Uhr, die Karten kosten 16 Euro bzw. 11 Euro ermäßigt.

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