Sonntag, 7. Juni 2009

"Knips mal, Mariechen!"


von Courtney Dressler

Während vor meinen Fenstern ein fürchterlich heftiges Gewitter die Welt in ein skurrilles Grün taucht und heftig vor sich hinblitzt, lümmel ich mit Wärmflasche (!) und Tee auf dem Sofa herum (irgendwas läuft mit den Jahreszeiten falsch!) und beende den Mini-Schmöker "Die Box" von Günter Grass, welchen mein Vater mir auf der Buchmesse 2008 vom Dichter himself hat signieren lassen. Und ich möchte es euch hiermit ans Herz legen!

Grass, der Meister der verschachtelten Sätze, lässt hier einmal sein teilweise anstrengendes Faible beiseite und widmet sich ganz der Vermischung von Autobiographie und Fiktion. Anlässlich seines 80. Geburtstag lässt er seine Kinder - die fast alle aus verschiedenen Beziehungen stammen und mittlerweile erwachsen sind- über ihr Leben in der Patchworkfamilie Revue passieren und die Gesprächsfetzen für ihn aufnehmen. Damit er diese in einem Buch verarbeiten kann.

Heraus gekommen ist eine wundervolle, zarte, liebevolle Geschichte über das Erwachsenwerden, die ersten Liebschaften, die teilweise schwierige Beziehung zum Vater, der sich in der Literaturszene mit seiner "Blechtrommel" sehr schnell einen Namen machte. Und es geht um das alte Mariechen, stolze Besitzerin einer Agfa Box aus den 1930er Jahren. Diese hat im Krieg so einiges mitmachen müssen, sogar Brandbomben, Explosionen und dergleichen Gräuel überstanden. Seitdem spinnt die Kamera ein bisschen: auf ihren Fotos zeigt sie ausschließlich die Wünsche der Fotografierten. Da kann es schon mal passieren, dass einer der Jungs zwischen den echten Beatles am Schlagzeug sitzt. Oder eins der Mädchen in pompöser Garderobe über den Ku'damm spaziert. "Knips mal, Mariechen", heißt es regelmässig.


"Die Box" ist nicht mit den bisherigen Romanen Grass' zu vergleichen. Ein bisschen Phantasie und Fähigkeit, zu träumen, muss man schon besitzen, um Zugang zu der Geschichte zu finden - aber dann ist es umso schöner.

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