Sonntag, 5. April 2009

"Die Freude der Pflicht"



"an dem schmalen, unbegrenzten Geburtstagstisch saß feierlich altersgraues Meergetier und trank schweigend Kaffe und würgte schweigend, ganz versenkt in eigensinnige Kontemplation, trockenen Sandkuchen und Nußtorten und blaßgelben Streuselkuchen herunter. Stelzbeinige Hummer, Krabben und Taschenkrebse hockten auf den hochmütigen, geschnitzten Sesseln von Bleekenwarf; hier und da verursachten harte, gepanzerte Glieder ein trockenes Knacken, eine Tasse klapperte, wenn knochige Hummerscheren sie absetzten, und einige streiften mich mit einem Blick aus gleichgültigen Stielaugen"


Vor einigen Monaten fand ich eine alte, bereits etwas zerfledderte Ausgabe von Siegfried Lenz' "Deutschstunde" in der Buchbox auf der Allee um die Ecke. Siegfried Lenz. Kennt man als Germanistin, das ist sicher. Aber gelesen hatte ich noch nichts von ihm. Wieviel mir dabei entgangen ist! Vor ein paar Wochen griff ich - mit dem festen Vorsatz, ein bisschen quer durch die Nachkriegsliteratur zu blättern - das Buch nun aus meinem gut gefüllten Bücherregal. Und ward sofort eingesogen in die Geschichte beziehungsweise die unglaublich einnehmende Art der Erzählweise des Autors.

Siggie Jepsen ist ca. 20 Jahre alt und sitzt in einer Strafanstalt für schwer erziehbare Jugendliche. Als er, anstatt ein paar schnell hingeschmierter Wörter, zum Thema "Die Freude der Pflicht" nur ein leeres Blatt abgibt, wird er zu einer Strafarbeit in Einzelhaft verurteilt. Doch Siggi hat nicht etwas nichts geschrieben, weil ihm nichts eingefallen ist - sondern weil er sich ob der schieren Menge seiner Erinnerung nicht für einen Anfang entscheiden konnte. Also schreibt er. Und schreibt. Und schreibt.


Von seiner Kindheit in einem verträumten Dorf an der Nordsee. Von seinem autoritären Vater, dem Polizeiposten Rugbüll, der auf Biegen und Brechen seine Pflicht erfüllt und bereit ist, dafür Freundschaften zu opfern. Und vom Maler Max Ludwig Nansen (literarisches Ebenbild des expressionistischen Malers Emil Nolde, deshalb das Bild dort oben), der, da seine Kunst als "entartet" gilt, von den Nazis Malverbot erhält, und dessen Bilder Siggi verbotenerweise versteckt. Der ganze Roman ist von einer so bedrückenden und faszinierenden Intensität, dass es mir nur zu wichtigen Zwecken gelang, das Buch aus der Hand zu legen. Besonders bestechend finde ich die teilweise herrlich naive Sichtweise durch die Augen des 10-jährigen Siggi, dessen blühende Phantasie mir nicht selten ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Bitte lesen!

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