Samstag, 24. Januar 2009

Wattebauschbart und Pinocchio-Lügennase


(Foto: Anja Reiermann)

"Die Wahrheit ist wie eine stadtbekannte Hure - jeder kennt sie, aber wenn man ihr bei Tag auf der Straße begegnet, ist es unangenehm"

Als Wolfgang Borchert im Jahre 1947 sein Theaterstück "Draußen vor der Tür" veröffentlichte, wollte die deutsche Nation die Wahrheit in der Tat nicht wissen. Mord, Gräuel, Kriegstraumata? Nicht bei uns. Heutzutage - nach vielen, vielen Jahren der Aufarbeitung und Unterrichtsstunden - gehört es fast schon zur Tagesordnung, sich mit dem Krieg zu beschäftigen. Die Inszenierung des Borchert'schen Stück, welche am vergangenen Samstagabend Premiere im "Theater im Bauturm" feierte, schafft es, ein tiefschürfende Thematik angemessen darzustellen, ohne die Stimmung auf eine allzu niederschmetternde Stufe zu werfen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht nach erzählen, wovon das Stück im Einzelnen handelt. Nur soviel sei gesagt: Beckmann, 25 Jahre jung, kehrt nach drei Jahren Kampf an der Front zurück an den heimischen Herd. Doch den Platz an der Seite seiner Frau hat bereits jemand anderes eingenommen, seine Eltern haben sich zum Kriegsende umgebracht und seine Nächte sind durchzogen von wirren Träumen aus Blut, Knochen und Tod. Entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen, wirft er sich in die strömende Elbe. Doch die - vollgefressen von ähnlich denkenden - will ihn nicht haben und spuckt ihn wieder aus. Ob ihm der übersättigte Bestatter oder der enttäuschte Gott mit Wattebauschbart helfen können?

Ich muss sagen, ich habe den Abend genossen. Da nur vier Schauspieler für die ca. zehn Rollen zur Verfügung standen, musste man als Zuschauer seine Vorstellungskraft ordentlich ankurbeln. Waren Requisiten nicht vorhanden, wurden sie kurzerhand beschrieben ("Ich nehme mir jetzt ein Stück Sandkuchen und stecke es in den Mund"). Expressionistisch angehauchter Höhepunkt - für mich jedenfalls - waren die an Scherenschnitte erinnernde Beleuchtungssequenzen (offenbar schwer zu beschreiben, hmm...) und die lange, Pinocchio-ähnliche Lügennase des Oberst. Mein Fazit: Wer gutes Sitzfleisch besitzt (das Stück dauert zwar nur 1 1/2 Stunden, die Plastikstühle sind jedoch unbequem) und nichts einzuwenden hat gegen einen hübsch gestalteten Theaterabend, der bewege sich Richtung Aachener Straße 24-26 (S: Rudolfplatz).

Das Stück läuft noch an zahlreichen Daten im Januar und Februar. Tickets kosten 15.- bzw. 10.- ermäßigt.


2 Kommentare:

nicki hat gesagt…

Wunderbar hört sich das an. Weisst du welche Schauspieler dort mitwirken? Ich kenne zufällig jemanden, der regelmässig dort spielt.

Fräulein Julia hat gesagt…

Bei dem Stück spielen Ingo Heise, Claudia Braubach, Michael Schories und Andreas Debatin mit.

Und es ist höchst empfehlenswert!